Ehe für alle – oder doch nicht?

von | Queer heiraten, Queeres Wissen & LGBTIQ+

Der 1. Oktober 2017 – ein großer und wichtiger Tag in Deutschland. Denn seit diesem Tag können zwei Personen gleichen Geschlechts in Deutschland miteinander die Ehe schließen (wie es so schön im BGB §1353 Abs. 1 heißt). Ein unspektakulärer Satz eigentlich, der doch so viel bedeutet. Denn endlich ist die Ehe von queeren Menschen der von Hetero-Paaren gleichgestellt. 

An dieser Stelle könnte jetzt das „Und sie lebten glücklich und zufrieden in Deutschland bis ans Ende aller Tage.“ folgen. Ist es tatsächlich so? Können und dürfen queere Ehepaare in Deutschland all das, was Hetero-Paare auch können und dürfen?

 

Die Lage für queere Ehepaare in Deutschland

Die Ehe von queeren Paaren mag gleichgestellt sein. Das gilt aber nach wie vor nicht für das, was sich viele Paare nach der Hochzeit wünschen: Kinder. Denn Regenbogenfamilien haben in Deutschland noch mit extrem großen Hürden zu kämpfen. 

Stiefkindadoption

Bekommen ein Mann und eine Frau nach einer künstlichen Befruchtung ein Kind, sind sie automatisch die rechtlichen Eltern. Dabei ist es juristisch egal, ob eine fremde Samenspende im Spiel war. Das deutsche Recht spricht demjenigen die Vaterschaft zu, der zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes mit der Mutter verheiratet ist oder die Vaterschaft anerkannt hat.

Bekommen zwei Frauen oder nicht-binäre Personen nach einer Befruchtung durch eine Samenspende ein Kind, sieht die Situation ganz anders aus. Denn dieses Kind hat ab Geburt nur einen rechtlichen Elternteil, nämlich die austragende Mutter. Die einzige Möglichkeit, gemeinsame Eltern zu werden: Die nicht-austragende Person muss das gemeinsame Kind adoptieren. Bis dieses Verfahren abgeschlossen ist, hat das Kind nur einen juristischen Elternteil. 

Mehrelternschaft

Für schwule Paare mit Kinderwunsch bleiben aktuell nur die Möglichkeiten einer Adoption oder einer Leihmutterschaft im Ausland. 

Wegen dieser Hürden entscheiden sich immer mehr Paare für eine gemeinsame Elternschaft mit einer leiblichen Mutter. Das Paar und die austragende Mutter wollen also gemeinsam Verantwortung für das Kind übernehmen. Das Problem dabei: Ein Kind kann juristisch in Deutschland nur zwei Elternteile haben, aber eben keine drei oder vier. Das Gesetz stellt also Familienkonstellationen mit mehreren Elternteilen vor große rechtliche Hürden.

Kostenübernahme bei Kinderwunschbehandlungen

Entscheidet sich ein verschiedengeschlechtliches Paar in Deutschland für eine Kinderwunschbehandlung, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen u.U. die Kosten, wenn die Frau empfängnisunfähig ist. 

Das gilt nicht für queere Paare. Nur ganz wenige Kostenträger beteiligen sich hier finanziell an einer Kinderwunschbehandlung. 

 

Das Fazit für Deutschland: Ehe für alle – Ja. Familie für alle – Noch lange nicht!

Queere Ehepaare mögen in Deutschland juristisch nahezu gleichgestellt sein. Queere Familien haben aber noch jede Menge Kämpfe zu kämpfen, bevor Regenbogenfamilien die gleichen Rechte bekommen. 

Quelle: LSVD

Wie sieht es auf dem Rest der Welt aus? 

Der Blick über den Tellerrand: Hier leben queere Menschen weltweit am sichersten

Immer wieder starten Untersuchungen und Umfragen darüber, in welchen Ländern queere Menschen am sichersten leben. Eine der großen Befragungen stammt aus dem Jahr 2015 (https://news.gallup.com/poll/183809/european-countries-among-top-places-gay-people-live.aspx) 

In den Top 10 ranken gleich acht Länder in Europa. 

Niederlande

Unser Nachbarland gilt als das queer-freundlichste Land auf der Welt. Schon 2001 haben die Niederlande als eines der ersten Länder weltweit die Ehe für alle erlaubt. Und auch in Sachen Rechte für Regenbogenfamilien sind die Niederländer führend. 

 

Spanien

Spanien trägt seinen Ruf als liberales und LGBTIQ*-freundliches Land zurecht. Seit 2005 können queere Paare heiraten, seit 2015 können verheiratete queere Paare beide Namen auf der Geburtsurkunde eines leiblichen Kinds eintragen lassen. 

 

Kanada

Auch in Kanada können queere Paare schon seit 2005 heiraten. Einzelne Bundesstaaten wie British Columbia erlauben schon seit 2013 bis zu vier Elternteile auf der Geburtsurkunde. 

 

Buntes Europa? 

Unter den 10 besten Ländern für queere Menschen liegen acht in Europa. Ist Europa also the place to be für die LGBTIQ*-Community? Definitiv liegen Licht und Schatten in Europa sehr nah beieinander. Das zeigen diese drei aktuellen Beispiele dramatisch.

 

Polen

Polen belegte im Ranking der europäischen Länder in Sachen LGBTIQ*-Rechte auf der Rainbow-Map 201 den letzten Platz ( https://www.ilga-europe.org/rainboweurope/2020) 

2019 erklärten sich immer mehr Gemeinden zu „LGBT-freien Zonen“, besonders im konservativen Südosten des Landes. Politiker:innen der nationalistischen Regierungspartei PiS äußerten sich im Wahlkampf vermehrt queerfreindlich. Seitdem nehmen die Übergriffe auf queere Menschen zu. 

 

Ungarn

Schon 2020 wurden in Ungarn mehrere Gesetze verabschiedet, die die Rechte von queeren Menschen einschränken. Trans Personen können seitdem ihr Geschlecht nicht mehr anerkennen lassen, queere Paare keine Kinder mehr adoptieren. Die ungarische Regierung hat im Juni 2021 ein Gesetz verabschiedet, dass es verbietet, Minderjährige über Transidentität und Queerness aufzuklären.
(https://www.queer.de/detail.php?article_id=39461) 

 

Schweiz

Wer denkt, hier tauchen nur die „typischen“ osteuropäischen Länder auf, der täuscht sich. Nach sieben Jahren Diskussion hat das Parlament erst im Dezember 2020 die Ehe für alle beschlossen. Kein halbes Jahr später reichten Gegner:innen ein Referendum gegen die Gesetzesänderung ein. 

Am 26. September 2022 kam es deswegen zur Volksabstimmung, in der alle Schweizer:innen ihre Stimme für oder gegen die Ehe für alle abgeben konnten. Der „Wahlkampf“ im Vorfeld war ein dreckiger und ging regelmäßig unter die Gürtellinie. Zum Glück haben sich die meisten Schweizer:innen für die Liebe und Vielfalt ausgesprochen. Also lässt sich voller Freude sagen: Auch in der Schweiz dürfen queere Paare heiraten.

 

Ehe für alle – oder doch nicht?

Die Antwort:

In 28 Ländern der Welt gibt es die Ehe für alle. Aber auch in denen, die die Ehe geöffnet haben, bleiben große Baustellen für die LGBTIQ*-Community. Deswegen sollten und müssen wir weiter laut sein, weiter kämpfen.

Denn Liebe ist Liebe.

Familie ist Familie.

Und Liebe ist bunt. 

Punkt.

 

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